Aber wir werden uns doch verteidigen dürfen?
Wenn uns jemand angreift, dürfen und müssen wir uns auch verteidigen können… so denken viele BürgerInnen
PazifistInnen meinen, politisch gedacht:
Verteidigung ist überflüssig, wenn wir die richtige Außenpolitik betreiben, so dass Konflikte politisch gelöst werden und keine Militärmacht ein Motiv hat, uns anzugreifen.
Wenn durch Rüstungskontrolle und Abrüstungsschritte die Militärapparate soweit verkleinert werden, dass die Staaten in Europa - die Staaten der NATO und Russland eingeschlossen - nicht mehr zu Angriffshandlungen fähig sind. Und die USA natürlich auch nicht - das bedeutet Schließung der Militärstützpunkte der USA.
Konkret auf die aktuelle Lage in Europa bezogen, seit ca. 2014: Die Expansion der NATO nach Osten, der Versuch der Aufnahme der Ukraine in die NATO und in die EU hat die Konflikte zugespitzt. Seit der Annexion (Sezession) der Krim wird Russland wieder als Feind betrachtet.
Mehr dazu: Kalter Krieg- Heisser Krieg- Abrüsten
Unsere Vorstellungen von Friedenspolitik: Für Abrüstung und Entmilitarisierung
Wir meinen, praktisch betrachtet:
Verteidigung führt zur Selbstzerstörung - denn die Verteidigung unserer komplexen Industriegesellschaft mit den vorhandenen militärischen Mitteln führt zur Zerstörung der Infrastruktur. Dies erst recht wenn Atomwaffen eingesetzt werden, und die Infrastruktur gezielt oder als „Kollateralschaden“ zerstört wird.
Wir sind abhängig von Wasser- Strom - und Gasversorgung. Im Krieg werden Versorgungseinrichtungen zerstört und Tranpsortwege unterbrochen. Nach wenigen Kriegstagen ist die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung gefährdet. Die Industrieproduktion bricht zusammen. Ohne Strom läuft nichst, auch nicht die Heizung.
Schaubild Verteidigung = Selbstzerstörung
Aus einem konventionellen Krieg, der als Verteidigungskrieg beginnt, kann ein Atomkrieg entstehen
Dazu: Bombenstimmung - zu Entwicklung der Abschreckungskonzepte: http://www.no-militar.org/index.php?ID=23
Wir meinen, moralisch betrachtet:
jeder Krieg ist ein Verbrechen, auch der Verteidigungskrieg.
Auch im Verteidigungskrieg werden Menschen ermordet.
Für PazifistInnen ist nur gewaltfreie Verteidigung akzeptabel:
Sollte eine fremde Militärmacht unser Land angreifen und besetzen, bleibt die Möglichkeit der sozialen Verteidigung:
Die Verteidigung einer Gesellschaft, der demokratischen Einrichtungen, durch gewaltfreie, durch zivile Methoden.
SoldatInnen einer Besatzungsmacht werden als Menschen, in ihrer körperlichen Unversehrtheit respektiert, aber in Ihrer Rolle als SoldatIn bekämpft.
Ohne Waffen - aber nicht wehrlos - Soziale Verteidigung
... meint die Verteidigung einer Gesellschaft mit zivilen und gewaltfreien Mitteln. Es gibt keine Anwendung von militärischer Gewalt. Gegen eine Besatzungsmacht sollen Methoden des gewaltfreien Widerstandes angewandt werden, z.B. Massendemonstrationen, Blockaden, ziviler Ungehorsam. Soziale Verteidgung muss aber sehr wohl vorbereitet und organisiert werden.
Hier eine Darstellung des Konzepts. Aus dem Katalog der Ausstellung "Schreck lass nach", AG Friedenspädagogik 1986.
Soziale Verteidigung in 2 Schaubildern: Ausstellung Tafel 10 und 11
Aktuell in Bezug zum Krieg in der Ukraine:
1. Was hat Soziale Verteidigung mit dem Ukraine-Krieg zu tun?
Der Kontrast zwischen den Schicksalen der ukrainischen Städte Cherson und Mariupol zeigt, warum Soziale Verteidigung in der Ukraine relevant ist.
Cherson ist nach Mariupol die zweitgrößte ukrainische Stadt, die von russischen Truppen erobert wurde. Mariupol war über Monate militärisch umkämpft und wurde in großen Teilen dem Erdboden gleichgemacht. Ukrainischen Schätzungen zufolge starben dort zehntausende Zivilisten. Cherson hingegen wurde innerhalb von wenigen Tagen am 2. März eingenommen. Cherson wurde nicht flächendeckend zerstört. Obwohl auch dort die Zivilbevölkerung der Gewalt des russischen Militärs ausgesetzt ist, wird dort bisher von einigen hunderten getöteten ukrainischen Soldaten und Zivilisten ausgegangen – nicht zehntausenden.
Während annähernd die Hälfte der Bevölkerung fliehen konnte, bedienen sich verbliebene Einwohner Chersons der Methoden der Sozialen Verteidigung, beispielsweise in Form von Demonstrationen gegen die russische Besatzung. Auch aufgrund des zivilen Widerstandes gelang es der russischen Okkupation erst Ende April, einen russischen Bürgermeister zu installieren.
Das Schicksal Chersons ist ungewiss, besonders da die ukrainische Regierung plant, die Stadt militärisch zurückzuerobern. Bisher besteht jedoch zumindest noch die Chance, dass geflüchtete Bewohner zurückkehren können und Cherson in Zukunft wieder zu einer lebenswerten Stadt wird. In Mariupol besteht diese Chance für lange Zeit wohl leider nicht mehr.
Soziale Verteidigung: Ohne Waffen – aber nicht wehrlos!
Ob dieses Beispiel der Sozialen Verteidigung als Erfolg gewertet werden kann ist fraglich. Die russische Besatzung ist
immer noch vor Ort. Doch zumindest zeigt das Beispiel, dass Soziale Verteidigung (und der Verzicht auf militärische Verteidigung) das Leben und die Lebensgrundlage der Menschen bewahren können.
2. Was ist Soziale Verteidigung eigentlich?
Soziale Verteidigung ist die Strategie des aktiven gewaltfreien Widerstands gegen einen bewaffneten Angriff oder Staatsstreich. Die Soziale Verteidigung bedient sich der Methoden der gewaltfreien Aktion, des zivilen Widerstandes und der Nicht-Zusammenarbeit.
3. Wie funktioniert Soziale Verteidigung?
Bei der Sozialen Verteidigung ist das Ziel die Verteidigung des Lebens, der Lebensgrundlage und der spezifischen Lebensform – also bestimmte soziale, wirtschaftliche und politische Verhältnisse – der Menschen.
Grenzen können gewaltfrei nicht gegen bewaffnete Armeen verteidigt werden. Der erste Schritt der sozialen Verteidigung ist also die Konfliktprävention durch Verhandlungen und Interessenausgleich.
Falls das nicht gelingt, lässt die Soziale Verteidigung unter Umständen zu, dass die territoriale Integrität durch einen Angreifer verletzt wird. Die Soziale Verteidigung wehrt sich vor allem gegen die feindliche Übernahme von Institutionen, z.B. Gesetzgebungsorgane, Massenmedien oder industrieller Produktion. Die Kontrolle solcher Institutionen ist oft kriegsentscheidend.
Bei dieser Art der Verteidigung kann die gesamte Bevölkerung teilnehmen. Sie erfolgt nicht unter Zwang, sondern freiwillig. Idealerweise wird Soziale Verteidigung über Jahre vorbereitet. Dies funktioniert besonders dann, wenn Menschen eine aktive und positive Verbindung zu ihrer Lebensform und ihren Institutionen haben.
4. Was sind die Methoden der Sozialen Verteidigung?
Eine wichtige Stütze der Sozialen Verteidigung sind symbolische Handlungen, die der Bevölkerung zeigen, dass Mitarbeit in der Sozialen Verteidigung gesellschaftlichen Schutz bietet, während sie dem Angreifer zeigen, dass er in der Bevölkerung keinen Rückhalt findet.
Die Soziale Verteidigung verhindert die feindliche Übernahme von Institutionen durch Blockaden, dynamische Weiterarbeit oder aktive Nichtzusammenarbeit.
Durch Blockaden wird der Angreifer gehindert, Zugang zu wichtigen Institutionen zu erlangen.
Durch dynamische Weiterarbeit wird sichergestellt, dass die Bevölkerung nach wie vor mit lebensnotwendigen Gütern versorgt wird, während dem Angreifer die Chance verwehrt wird, die Weiterarbeit zu steuern.
Insofern das nicht möglich ist, bedient sich die Soziale Verteidigung der Nichtzusammenarbeit. Der Gedanke dahinter ist, dass der Angreifer auf die Mitarbeit der Bevölkerung angewiesen ist. Ohne sie gäbe es nicht genug Personal oder Knowhow, um Institutionen aufrechtzuerhalten.
5. Wozu führt die Soziale Verteidigung?
Die Soziale Verteidigung beabsichtigt, dem Angreifer durch Verhinderung seiner Kriegsziele die rationale Grundlage für den Angriff zu entziehen.
Wenn das gelingt, wird der Konflikt nicht militärisch ausgefochten, sondern durch Verhandlungen und einen Interessenausgleich beendet.
6. Wie kann Deutschland zur Sozialen Verteidigung in der Ukraine beitragen?
Die Frage, ob in der Ukraine Soziale Verteidigung angewandt wird, kann natürlich nur von der ukrainischen Bevölkerung entschieden werden. Aber Deutschland kann einen Beitrag dazu leisten, indem es mithilft, bessere Rahmenbedingungen zu schaffen.
Der unmittelbare Ansatzpunkt hierfür sind Verhandlungen Deutschlands und seiner NATO-Partner mit Russland, um darauf hinzuarbeiten, einen Interessenausgleich zu schaffen.
Ein weiterer unmittelbarer Ansatzpunkt sind zielgerichtete Sanktionen und Waffenembargos, inklusive Unterlassung von Waffenlieferungen an die Ukraine, da sie zu Tod und Zerstörung durch Waffengewalt beitragen und Ansätze der Sozialen Verteidigung behindern.
Zudem würde ein Bleiberecht für Deserteure aller Nationalitäten in Deutschland den Weg zur Kriegsdienstverweigerung ebnen und helfen, das Feld für Soziale Verteidigung zu bereiten.
Solidarität mit den Menschen in der Ukraine bedeutet, dem Krieg den Boden zu entziehen!
der vorstehende Text gestaltet http://www.h-m-v-bildungswerk.de/pdf/220601%20Soziale%20Verteidigung.pdf